Wer kennt sie nicht, die Brettspielmonster aus der Kategorie Dungeon Crawler? Ein mehrere Koffer füllendes Descent oder ein 10 Kilo schweres Gloomhaven? Und für das nächste Level lieber gleich mal ein paar Tage Urlaub einplanen? Nicht jeder hat die Zeit, die Lust oder das Geld für solche Schwergewichte. Doch Getreu dem Moto „Es gibt nichts, was es nicht gibt“, habe ich mir zusammen mit meiner Familie Side Quest angeschaut – ein voll-kooperativer Dungeon Crawler für bis zur vier Spieler in einer winzigen Schachtel.
Das von Steve Venezia erdachte Spiel wurde Ende 2015 über Kickstarter (englische Version) und die Spieleschmiede (deutsche Version) erfolgreich finanziert. Side Quest: Pocket Adventure bezeichnet sich selbst als Dungeon Crawler im handlichen Taschenformat. Tatsächlich bekommt man für 15 Euro eine kleine stabile Schachtel mit 85 Karten, in der sich auch noch zwei sechsseitige Würfel und ein kleines Faltblatt mit den Regeln befinden. Das passt wirklich in jede (Hand-)Tasche oder das Urlaubsgepäck und ist alles, was man für Side Quest benötigt. Dabei holt das Spiel überraschend viel aus der überschaubaren Menge an Karten heraus:
- 11 Helden,
- 4 Lebenspunkt-Karten (1 pro Spieler),
- 4 Regel-Referenz-Karten (1 pro Spieler),
- 1 Startspieler-Karte,
- 8 Ausrüstungen (darunter auch ein kleiner Hund und eine kleine Katze als Begleiter),
- 11 Waffen (6 Basis- und 5 Elite-Waffen),
- 7 Zaubersprüche,
- 9 Orte,
- 3 zu rettende Dorfbewohner (Frau, Mann, Hund),
- 22 Gegner (davon 4 Boss-Gegner) und
- 5 Abenteuer (davon ein kurzes Tutorial)

Die Karten haben ein eher ungewöhnliches Maß von 56x87mm (American Board Game Cards), sind nicht sehr dick, fühlen sich Dank der leicht strukturierten Pappe aber gut und wertig an. Der Druck ist sauber und gut lesbar.
Wirklich positiv ist anzumerken, wie geschickt Side Quest mit dem Prinzip „Karten“ umgeht. Man benötigt keine Marker, Lebenspunkte werden einfach durch das Drehen der Lebenspunkte-Karten angezeigt und wer sich beim Spielablauf unsicher ist, nimmt seine Regelkarte zur Hand.
Der Spielablauf ist angenehm unkompliziert. Die Regeln sind in wenigen Minuten verstanden, wenn auch an manchen Stellen nicht ganz eindeutig. Aber im Zweifelsfall lässt sich das schnell durch Handwedeln (=Hausregeln) lösen. Das tut dem Spielspaß keinen Abbruch. Und diesen Spaß hat man mit diesem kleinen Spiel tatsächlich.
Dazu versammeln sich bis zu vier Spieler und Spielerinnen am Tisch – man kann Side Quest auch alleine spielen – und alle suchen sich einen der 11 Helden aus. Jeder Held hat zu Beginn 4 Lebenspunkte, aber kann dafür eine unterschiedliche Anzahl an Gegenständen oder Zaubersprüchen mit sich führen und besitzt eine ganz besondere Fähigkeit. So kann die Magierin Ayami am Ende einer Runde automatisch Monster betäuben, Paladin Dominick erhält durch das Töten von Monstern Lebenspunkte zurück und der Zwerg Karrek startet das Spiel bereits mit zusätzlicher Ausrüstung. Die kleine Jinx kann zwar nicht viel tragen, dafür darf sie einmal pro Zug einen Wurf wiederholen. Auch nicht schlecht!
Gerade wenn mehrere Leute zusammen spielen wird es interessant, die verschiedenen Fähigkeiten miteinander zu kombinieren.

Bevor sich die Helden jedoch ins Vergnügen stürzen können, muss man sich noch für eines der mitgelieferten Abenteuer entscheiden. Beim ersten Abenteuer handelt es sich um ein Tutorial mit nur einem Level, was sehr gut zum Erlernen der einfachen Regeln oder für ein wirklich schnelles Spiel zwischendurch geeignet ist. Die anderen vier Abenteuer bestehen aus jeweils 3 Leveln. Der Schwierigkeitsgrad variiert durch Wahl und Anzahl von Monstern und Boss-Gegnern. Alles, was man dazu wissen muss, ist auf der jeweiligen Abenteuer-Karte vermerkt.
Ein Dungeon Crawler wäre natürlich nichts ohne einen Dungeon. Dieser Dungeon wird durch das (zufällige) Auslegen der Ortskarten gebildet. Jeder Ort kann einen Vor- oder Nachteil bieten. So verliert jeder, der sich am Ende der Runde in der Todesschmiede befindet, einen Lebenspunkt – egal ob Held oder Monster. Im Gasthaus können sich Helden leichter heilen und der Wachposten verlangsamt die Helden (indem sie Aktionspunkte verlieren). Die Orte sind zunächst noch unbekannt und werden durch das erste betreten eines der Helden aufgedeckt. Dann erscheinen dort auch Monster, Dorfbewohner wollen gerettet werden oder es gibt Schätze zu finden.
Das Spiel selbst verläuft dann so, wie man es gewohnt ist: Die Helden durchkämmen die Räume, töten die Monster, bergen die Schätze – wodurch sie bessere Waffen und mächtigere Zaubersprüche erhalten – und kämpfen sich so ins nächste Level und bis zum Endgegner durch. Zumindest im Idealfall. Denn Side Quest ist gar nicht so leicht, wie es sich zunächst anhört. Die Größe der Dungeons steigt mit der Anzahl der Spieler (=Helden), so dass eine gewisse taktische Planung notwendig wird. Vier Lebenspunkte sind nicht viel und nicht jedes Monster lässt sich „einfach mal so“ vernichten.

Natürlich darf man keine tiefgründige Hintergrundgeschichte oder eine umfangreiche Kampagne erwarten. Das Spiel ist in wenigen Minuten erlernt, der Aufbau passiert nebenbei, ein Abenteuer dauert selbst mit vier Helden selten länger als eine Stündchen. Großartige Überraschungen darf man natürlich auch nicht erwarten. Mal trifft man auf das eine Monster, dann mal auf das andere. Mal kommt der eine Raum zuerst, mal ein anderer. Hier würde ich mir definitiv Erweiterungen mit mehr Räumen, mehr Monstern und vor allem mehr Abenteuern wünschen, die etwas mehr Abwechslung in das Spiel bringen. Überhaupt bietet der eigentliche Ablauf recht wenig Abwechslung und so lebt das Spiel hauptsächlich durch die vielfältigen Sonderregeln und -fertigkeiten seiner Helden, Orte und Monster.
Das klingt jetzt vielleicht negativ, aber Side Quest: Pocket Adventures ist genau das, was es sein will: Ein kleiner Dungeon Crawler, der die abseits einer Kampagne stehenden Nebenhandlungen in den Focus rückt und dabei nicht viel Platz und Zeit in Anspruch nimmt. Und genau das mach Side Quest meiner Meinung nach auch richtig gut.
Wer also ein kleines Spiel für verregnete Urlaubstage sucht, darf hier bedenkenlos zuschlagen. Auch wer seinen Kids etwas mitgeben will, damit diese in der ausgefallenen Unterrichtsstunde nicht wieder nur am Smartphone hocken und lieber mal etwas mit ihren Freunden spielen, darf Side Quest gerne ausprobieren. Sein Geld ist das Spiel allemal wert.

Alle Bilder mit freundlicher Genehmigung von Frank Noack, Happyshops & Corax Games